Und die Wende ist doch richtig

Je näher die Bundestagswahl rückt, desto heftiger wettern die Stromkonzerne gegen die Energiewende. Funktioniert nicht, heißt es. Zu teuer. Geht doch auch anders. War also alles für die Katz? Keineswegs.

Tatsächlich ist die Wende eine Erfolgsgeschichte. Und die muss verteidigt werden.

Eine Gegenrede


Anfang Juli veranstaltete der SV Erftstolz ein Jugendturnier. Der Fußballplatz liegt zu Füßen des Braunkohlekraftwerks Niederaußem, einer der klimaschädlichsten Anlagen Europas. Kaum ein Wölkchen verlor sich an diesem Sonntag am Himmel. An sonnigen Sonntagen kann man inzwischen eigentlich fast die ganze Republik mit Ökostrom versorgen. Man muss es sogar, denn grüne Energie hat gesetzlich Vorrang.Trotzdem stiegen aus den Kühltürmen des Kraftwerks dicke, weiße Rauchwolken auf. Es war also nicht heruntergefahren. Es produzierte Strom. Der Qualm wirkte wie der Trotz des Eigners RWE: Ätsch. Wir lassen uns von eurer Sonnenenergie das Geschäft nicht kaputt machen.

In Politik und Medien agitieren die Stromkonzeme inzwischen mit aller Macht gegen die Energiewende. Sie versuchen zu verhindern, dass schon 2020 aus deutschen Steckdosen mindestens 35 Prozent Ökostrom fließt, wie es im Energiekonzept 2050 der Bundesregierung steht. Denn das würde das Geschäft der Konzerne erschüttern. Die PR-Botschaft lautet daher: An der Energiewende ist so ziemlich alles schlecht! Sie trägt Schuld am hohen Strompreis, schwächt die deutsche Industrie im internationalen Wettbewerb und lässt eines Tages die Lichter bei uns ausgehen, weil sich Kohlekraftwerke nicht mehr rentieren und abgeschaltet werden. Als Kern des Übels gilt das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG), das die Forderung des Ökostroms festschreibt.



Um der Kritik Nachdruck zu verleihen, gaben die Chefs von Eon und Siemens, Johannes Teyssen und Peter Löscher, dem „Handelsblatt“ jüngst sogar ein Doppelinterview. „Wir sind auf dem falschen Weg“, warnte Löscher, Chef des führenden Kraftwerkbauers. „Die Lage ist ernst", drohte Teyssen, Boss des mächtigen Atomkraftwerksbetreibers. Die Reaktion der Kanzlerin war: kleinlaut. Sie sagte, es gehe doch um „spannende Arbeitsplätze der Zukunft".

Und so entscheidet sich im Jahr der Bundestagswahl plötzlich auch, ob die umweltpolitisch so wichtige Wende gelingen kann oder ob alle Klimaziele wieder eingestampft werden, deutsche Kohle- und Gaskraftwerke weitere Jahrzehnte die Erde erwärmen. Unterstiitzung erhalten die Konzerne vom Regierungspartner FDP, der die Rolle rückwärts übt. Auf der Gegenseite stehen Grüne und Linke. In den anderen Parteien herrschen: Wankelmut, Zwiespalt.

Für die Deutschen steht viel auf dem Spiel: Denn es geht auch um die Demokratisierung des Energiemarktes mit all ihren positiven Folgen. Eine konsequente Energiewende verlagert nämlich die Versorgung mit Strom und Wärme weg von den Konzernen in Millionen Bürgerhände: Kommunen, Energiegenossenschaften, Landwirte profitieren davon, weil die Gewinne, die heute Aktionären zufließen, in den Regionen bleiben und sie stärken.

Es geht um politischen Mut

Das Dauerfeuer der Industrie zeigt Wirkung, selbst in seriösen Medien. Der „Spiegel“ behauptete kürzlich, immer mehr Deutsche würden schon panisch das Überleben ohne Strom üben, weil sie Blackouts fürchteten, sobald sie sich auf Wind- und Sonnenkraftwerke verlassen müssten. Das Horrorszenario erinnerte an jenen alten Spottreim gegen Kernkraftkritiker: „Atomkraftgegner überwintern bei Kerzenschein und kaltem Hintern." Tatsächlich sind die Stromnetze laut Bundesnetzagentur trotz kräftig wachsender erneuerbarer Energien im vergangenen kalten Winter stabiler gewesen als im Vorjahr.

Nüchtern betrachtet geht es ohnehin nicht mehr um die Machbarkeit der Wende. Studien zeigen eindrucksvoll, dass schon im Jahr 2020 100 Prozent saubere Energie möglich ware. Es geht um politischen Durchhaltewillen und die Kraft, den Kohlelobbyisten die Stirn zu bieten. Das erfordert Rückgrat, denn die haben viel zu verlieren. 2012 verdienten allein die Big Four - Eon, RWE, Vattenfall und EnBW - rund 29 Milliarden Euro vor Steuern.

Nur: Im Zeitalter erneuerbarer Energien ist das ehemals vernünftige System, das Land aus Großmeilem über Hunderte Kilometer Stromkabel zu beliefern, volkswirtschaftlich unvernünftig. Mit moderner Technik und kluger Vernetzung können Windräder, Solaranlagen, Biogasmeiler oder Blockheizkraftwerke überall betrieben werden und jeden Ort verbrauchsnah, gezielt und preiswert versorgen. In Mecklenburg klappt das ebenso wie am Chiemsee oder im Schwarzwald. Man braucht kaum neue Stromleitungen, keine Großspeicher. Brennstoff steht im Überfluss kostenlos zur Verfügung: Der Wind allein kann unseren Energiehunger 200-mal stillen, die Sonne sogar 2850-mal.



Doch die Konzerne sind wild entschlossen, ihr Monopol in das grüne Zeitalter hinüberzuretten. Sie versuchten zunächst, das Volk mit einem Projekt namens Desertec einzulullen, das Strom, produziert in ihren Sonnenkraftwerken, aus der Sahara nach Deutschland bringen sollte. Es scheiterte, weil es so absurd ist, wie Kartoffeln aus Israel nach Deutschland zu transportieren. Dafür bauen sie nun Mammutkraftwerke weit draußen in Nord- und Ostsee. Weil aber 40 Kilometer vor Borkum keine Kunden fur den grünen Saft zu finden sind, lassen sie ihre PR-Sirenen heulen: „Wir brauchen dringend neue Stromnetze, sonst bricht hier alles zusammen!" Der Staat soll den Leitungsbau forcieren, gleich runter bis nach Bayern, und er tut es dienstwillig. Zahlen müssen das schließlich, na klar, die Stromkunden.

Aus Aktionarssicht ist das eine prima Strategie - würde sie nicht allerorten haken. Offshore-Windparks und Stromtrassen kommen nicht voran, weil sie technisch kompliziert sind oder die Bevölkerung rebelliert. Gleichzeitig setzen Bürger, Gemeinden und Energiegenossenschaften die Wende um, engagiert und gewinnorientiert wie die Konzerne selbst. Überall an Land bauen sie neue Sonnen-, Wind- und Biokraftwerke. Es gibt nicht mehr nur vier Stromerzeuger, sondern Millionen. Die Stromriesen wollen diese Wettbewerber ausbremsen und schlagen Alarm: Die Wende verlaufe viel zu schnell, heißt es. Bundesumweltminister Peter Altmaier lässt sich zwar weniger von dieser Dialektik beeindrucken als Wirtschaftsminister Philipp Rösler. Doch auch er will das Tempo runterfahren und taufte das beschönigend „Strompreisbremse“: die garantierte Vergütung von Ökostrom soll drastisch gesenkt werden. Bisher scheiterte er damit.

Man darf die Macht der Energiemanager nicht unterschätzen. Noch immer stammen etwa 75 Prozent des Stroms aus ihren Kraftwerken. Und sie wissen, wie sie ihre Ziele durchsetzen. Sie haben sogar erreicht, dass bis nächstes Jahr sechs Gigawatt Kohlekraft neu hinzukommen - das entspricht der Leistung von fünf AKWs.

Die sachlichen Argumente gegen die Energiewende kollabieren jedoch schon beim Anpiksen wie Souffles. Ökostrom sei zu teuer, heißt es.Tatsache ist: Ja, vorübergehend steigt der Preis - aber danach wird er umso billiger. Denn Sonne und Wind kosten nichts, Öl und Gas dagegen immer mehr. Der Beleg: Auch ohne Ökostrom-Umlage hat der Strompreis seit 2000 um 70 Prozent zugelegt. Würde man auf den Kohlestrompreis sämtliche aus Steuergeld gezahlten Zuschüsse und Ausgaben für Umweltfolgeschäden umlegen, wäre er 10,2 Cent pro Kilowattstunde teurer. Die Ökostrom-Umlage betragt 5,3 Cent.

Die Ökostrom-Abgabe schade Firmen im Wettbewerb, heißt es weiter. Dabei sind die dicksten Stromverbraucher von dieser Bürde weitgehend befreit - Tendenz steigend. Und bei den Netzentgelten hat der Staat sie 2012 um 805 Millionen Euro entlastet. Zahlen miissen das vor allem Privatkunden.

Selbst wenn die Wende uns eine Billion Euro kostet, wie Altmaier schätzt, sind das - berechnet auf 25 Jahre - gerade gut ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Volker Quaschning, Professor an der Berliner HTW, sagt: „Das wäre durchaus der Bedeutung der Energiewende angemessen, wenn sie wirklich das wichtigste Projekt nach dem Wiederaufbau Deutschlands wäre."

Aber um Zahlen geht es in Wahrheit nicht, sondern um Revolution oder Restauration. Die Mehrheit der Deutschen ist für Revolution. Die grüne Energieerzeugung und ihre Wertschöpfung gehören in Bürgerhand. Nicht aus ideologischen Gründen, sondern aus ökonomischer und ökologischer Vernunft.

Also auf, ihr deutschen Wutbürger, auf zum letzten Gefecht!   

Zum Nachlesen finden Sie diesen Artikel hier, bitte das Logo anklicken: